Buchprojekt

Andere lesen Krimis – ich erleb(t)e sie ein Leben lang

Ein Schwerpunkt der 130 Episoden liegt im Bereich des Nachkriegs-Berlins und den Umständen, unter denen nachrichtendienstliche Tätigkeit im beginnenden Kalten Krieg stattfand. Daher sind auch Lebensumstände in der damaligen Zeit beschrieben, die ich so nirgends bislang gelesen habe. Oder wussten Sie, welche Rolle Hildegard Knef im Schwarzmarkt gespielt hatte? Ich war oft auf ihrem Sofa und habe mit Porzellanfiguren gespielt. Es sind Augenzeugenberichte, also Dinge, die ich selbst beobachtet und erinnert habe. Ich erlebte Vordergründiges und erfuhr erst viele Jahre später die Erklärungen zu dem, was ich beobachtet und mir erstaunlicherweise fast fotografisch gemerkt hatte. Sie sind allerdings durch Erzählungen meiner Eltern und einiger Agenten meines Vaters in Sachzusammenhänge gestellt worden, ohne die Authentizität des selbst Erinnerten in Frage zu stellen.

Ich wurde in meinem Berufsleben Sicherheitsberater. Das ergab eine Vielzahl von Berührungspunkten zum Thema aus meiner Kindheit und dem Leben meines Vaters als erfolgreicher Nachrichtendienstler, denn einige seiner früheren Agenten wurden meine Kunden. Und das ergab interessante Einblicke, wie Spionage uns auch heute begleitet. Nicht nur im Ausland, sondern auch in Deutschland und aktuell auch immer wieder gegen meine Unternehmen.

Inhalt
des Zeitzeugenberichts in Episoden:

Noch nirgends niedergeschriebene Erlebnisse in den Trümmern Berlins, hautnahe Beobachtungen des Sohn des Leiters eines Nachrichtendienstes, der den Auftrag der Briten hatte, eine SBO (Stay-Behind-Organisation) für Spionage und Sabotage gegen die Sowjet-Armee im besetzten Deutschland aufzubauen. Mehrere Jahre brauchten die Sowjets, um herauszubekommen, wer mein Vater Dr. Hoffmann wirklich war. Ich selbst nahm wahr, dass ich die Stimme von Anrufern erkannte, diese sich aber mit mir fremden Namen meldeten.

Die ständige Angst der Mutter um den Vater übertrug sich auf mich. Interessanterweise nicht als Angst, sondern als unbewusste Aufgabe, Vater vielleicht schützen zu können. Als Kind war ich aus heutiger Sicht fast dressiert, Gefahren zu erkennen, um den Vater zu warnen. Nach Vaters Enttarnung steigerte sich alles bis zum konkreten Entführungsversuch der Sowjets (anlässlich eines Agententreffs) gegen Vater vor dem Haus Kurfürstendamm 168.

Das Buch enthält zudem noch nie veröffentlichte zeitgeschichtliche Tatsachen. Teilweise vielleicht auch spannend wie ein Krimi und immer auf realem Hintergrund. Keine Episode ist Fiktion. Alles sind Tatsachen und deren Einordnung in historische Zusammenhänge, die die Beobachtungen so interessant machen. Es tauchen Namen von Personen auf, die im Zusammenhang mit nachrichtendienstlicher Tätigkeit nicht erwartet werden wie Ulrich Wegener (erster Kommandeur der GSG 9), Ernst Benda, Mitbegründer des Nachrichtendienstes KgU 1946 in Berlin, später Innenminister und Präsident des Bundesverfassungsgerichts. Es wird aber auch ein mehrstündiges Gespräch mit Markus Wolf, dem DDR-Spionagechef, wiedergegeben, in dem Wolf mir mit Selbstironie begründet, warum es ihm nicht gelungen war, in meinem Büro in Bonn einen Agenten zu platzieren.

Die Nachkriegsereignisse im Rahmen einer Kindheit zwischen Trümmern, Schwarzmarkt, Mord (vom Autor als 4-jährigem Augenzeugen miterlebt und heute noch das Bild vor Augen), tragischen Selbstmorden im Umfeld und von Schulkameraden, Hamsterfahrten, Schmuggel, Fluchthilfen und Agentenschleusungen und Nachrichtendienstlern im beginnenden Kalten Krieg mit Entführungsversuchen gegen den Vater.

Ungewöhnliche Hamsterfahrten, bei denen Agenten angeworben oder gewarnt und ausgeschleust wurden. Die letzte von mir miterlebte Schleusung eines Spitzenagenten mit fünf Familienangehörigen nahm mein Vater 1956 vor. Diesen Agenten hatte Vater mit falscher Legende als Schiffingenieur in einer
Werft bei Rostock platziert. Dort wurde er Leiter der Wartung und Reparatur sowjetischer Kleinkriegsschiffe. Als der Einfluss der Amerikaner auf Vaters Nachrichtendienst wuchs, die Briten hatten kein mehr Geld, und vor allem Interesse an Vater SBO zeigten, verließ Vater den Dienst und schaltete zuvor fast alle Agenten ab oder holte sie in den Westen. Er hatte Zweifel an der Professionalität der CIC bzw. CIA und damit an der Sicherheit seiner Agenten. Einen allerdings gab er auf eigenen Wunsch an den BND (damals noch Organisation Gehlen) weiter. Eben diesen Schiffsingenieur. Ein anderer war im MfS. Er wollte nicht ausreisen und Vater schaltete ihn ab. Er war Einflussagent und blieb Vater gegenüber loyal.

Mehrere Jahre brauchten die Sowjets, um herauszubekommen, wer sich hinter dem Namen Dr. Hoffmann verbarg. Erst 1950 hatten sie Erfolg mit ihren Identifizierungsbemühungen. Wir hatten immer Angst um den Vater. Als Kind lernte ich Beschatten. Wir spielten Räuber und Gendarm und beschatteten Nachbarn. Daraufhin gab mir Mutter, angeregt durch Vater Tipps, wie man als Verfolger „unsichtbar“ bleibt. Das war spannend. Wir fühlten uns als Profis.

Nach seiner Enttarnung war ich zum Besuch einer Tante in Ost-Berlin. Auf einer Litfaßsäule sah ich Vaters Bild auf einem Fahndungsplakat mit 20.000 Mark Kopfprämie. Wenig später versuchten die Sowjets Vater vor dem Haus Kurfürstendamm 168/Ecke Brandenburgische Straße zu entführen.

Am 16. März 1956 wollte CIA-Chef Alan Dulles, Bruder des US-Außenminister John Foster Dulles, Vater reaktivieren und ihn bitten, unter dem Dach des BND eine Fluchtorganisation für abgeschossene oder mangels Sprit ausgestiegene US-Bomberpiloten durch die Sowjetunion in den Westen aufzubauen. Im Rahmen der Erstschlagsdoktrin der USA wollten diese im Falle eines Angriffs der Sowjets ohne Zögern Atombomben auf Moskau abwerfen. Es gab damals noch keine Tankflugzeuge, die über Feindgebiet zu operieren geeignet waren. Vater weigerte sich, eine so aussichtslose Operation auch nur anzudenken. Er wusste zu viel über die Effizienz sowjetischer Geheimdienste. 

Ein zweites Leben begann 1959 mit dem Umzug nach Bonn. Vater übernahm erstmals einen Job im Ministerium ohne nachrichtendienstlichen Zusammenhang. Ich wurde politisch aktiver 68er – aber: bei JU und mit dem RCDS. Meine Finanzen besserte ich während des Studiums als „Kunstfälscher“ auf, genauer: Kopist berühmter Impressionisten. Die Kopien finanzierten mir schon in den 60ern den Luxus eines Autos. Damals fuhren Prokuristen noch Bus.

Mein drittes Leben begann als Student 1969. Ich befasste ich mich mit Computerkriminalität. Es gab sie damals noch gar nicht richtig. Ich prognostizierte sie und wies experimentell Manipulationsmöglichkeiten von Großrechnern durch selbst geschriebene Programmmanipulationen nach, die ich unter Aufsicht eines Computer-Herstellers erfolgreich testen durfte. Erfolgreich führte ich den Nachweis der Manipulierbarkeit von Software. Damals ein Streitthema. Aus meiner Diplomarbeit machte ich ein Buch, das im Luchterhand Verlag als weltweit erste Monografie erschien.

Als Student gründete ich eine Sicherheits-Beratungsgesellschaft, die heute weltweit tätig ist (www.vzm.de). Sie wurde selbst Ziel zahlreicher nachrichtendienstlicher Spionageaktivitäten durch verschiedene Dienste sowie terroristischer Ausforschungen und Anschlagsvorbereitungen durch die RAF. Mein Leben blieb spannend und ist es auch heute noch. Denn mein Büro plant für etliche Dax-Konzerne, Mittelbetriebe und Behörden hochverfügbare Rechenzentren. Und daran sind wieder mal interessiert: Nachrichtendienste.

DLF Kultur | Reihe "Im Gespräch"

Rainer v. zur Mühlen im Gespräch mit Katrin Heise


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